Propeller am Penis

Sex mit dem Staubsauger war 1985 das Thema eines unglaublichen Rechtsstreites zwischen der Firma Kobold und dem Chaos Computer Club: eine kaum glaubliche Posse aus der Frühzeit des Netzes, als T-online noch Btx hieß. Damals schrieb Externer LinkNora den folgenden Bericht:

Manfred Piwinger, Chef des Ressorts Öffentlichkeitsarbeit der Vorwerk-Gruppe, ist stolz darauf, bei einer „sehr seriösen Firma“ beschäftigt zu sein, „die schon über hundert Jahre besteht“ und sich eines „außerordentlich guten Rufes“ erfreut.

Mit ganz besonderer Befriedigung präsentiert die Unternehmensgruppe ihre diversen Staubsauger-Modelle, etwa den „Tiger 250“, der laut Werbung eine „praktische Kombination zweier Funktionen“ bietet, vor allem aber den Klassiker „Kobold“, einen Handstaubsauger, der schon „seit1930 Weltspitze“ ist.

Ihre jahrzehntelangen Verdienste im Kampf gegen Schmutz und Staub rühmen die Vorwerker seit einiger Zeit auch in einem neumodischen Medium. Wenn einer der 40 000 westdeutschen Besitzer eines Bildschirmtext-Gerätes den Btx-Anschluß *61700# wählt, erscheinen auf seiner Mattscheibe in blauen, roten und grünen Lettern vielversprechende Vorwerk-Slogans wie: „Nur saugen allein genügt nicht“, bekräftigt durch ein strammes Ausrufungszeichen, das im Sekundentakt aufblinkt.

Seit ein paar Wochen ist die Lust der Vorwerker an ihrem neuen Werbemedium getrübt. „Von außerhalb“ (Piwinger) ist die Firma darauf hingewiesen worden, daá der gute Name der Saubermänner von einem anderen Btx-Programmanbieter permanent in den Schmutz gezogen werde.

In der Tat: Über die Vorwerk-Sauger, von denen es in der Werbung heißt, sie seien „immer schnell zur Hand“ und ihre Düsen gelangten „selbst an unzugängliche Stellen“, ist unter der Btx-Nummer *655322# nur Mißliches zu erfahren. Die altehrwürdige Firma wird dort, wie die Vorwerker mit „äußerstem Befremden“ feststellten, „in Zusammenhang mit Onaniepraktiken“ erwähnt.

Dieser Umstand hat mittlerweile einen Zivilprozeß ausgelöst, dessen Skurrilität in der Geschichte des deutschen Presserechts ohnegleichen ist. Es geht dabei, neben der Firma Vorwerk, um den kuriosen „Chaos Computer Club“ (CCC), der sich selber als „eine galaktische Vereinigung ohne feste Strukturen“ bezeichnet, und um ein Bielefelder Alternativblatt mit dem provozierenden Namen „Dreck“; beteiligt sind ferner Elektronikexperten, Rechtsgelehrte, Medizinwissenschaftler und, womöglich, im Hintergrund Mitarbeiter von Postminister Christian Schwarz-Schilling.

Die Sache nahm ihren Lauf, als der Hamburger CCC letztes Jahr die Btx-Version seiner Zeitschrift „Datenschleuder“ (Untertitel: „Das wissenschaftliche Fachblatt für Datenreisende“) aktualisierte. „Datenschleuder“-Verantwortlicher Steffen Wernery, 24, einer der von Postlern und Datenbankern gefürchteten Hacker, rückte unter der Rubrik „Telepublishing“ des elektronischen Magazins einen Text ein, den er zunächst „einfach amüsant“ gefunden hatte.

Seither können Btx-Nutzer – neben CCC-Beiträgen über „Geheimtelephone“ der Bundeswehr, einer lebensnahen Reportage von einer Hacker-Fete („Alle hängen mit Bierflaschen und Kaffeetassen bewaffnet vor dem Monitor“) und einer Blödelversion des Märchens „Aschenputtel“ im Jugend-Jargon („scharf wie’n Skalpell“) – auch einen Beitrag zum Thema „Erotik des Staubsaugers“ auf ihrem heimischen Bildschirm abrufen.

Auf der Bildschirmtext-Seite *655321648501310# publiziert der CCC – unter der Schlagzeile „Onanie macht krank“ – „zur Abschreckung“, wie es heißt, einen Beitrag über „Verletzungen durch Masturbation mit Staubsaugern“. Weil „Kobold“-Staubsauger der Marke „Vorwerk“ in dieser Beziehung besonders gefährlich“ seien, verbreitet das Chaos-Team darin auch „eine kurze Erläuterung über Aufbau und einige technische Daten dieses Typs“. Leseprobe:

„Der Vorwerk-„Kobold“ unterscheidet sich von den übrigen Modellen vor allem dadurch, daß sich der Motor am unteren Ende eines Stieles befindet und während des Saugens mit diesem über den Boden hin- und herbewegt wird. Durch diese Konzeption ist der übliche Verbindungsschlauch zwischen Saugdüse und Motorgehäuse überflüssig geworden… Entfernt man nun die Saugdüse, so trennt ein 11 cm langer Ansaugstutzen von 3,2 cm Durchmesser den Propeller von der Staubsaugerspitze. Wie die eingehende Exploration einiger Patienten ergeben hat, führen die Patienten den nicht erigierten Penis in den Ansaugstutzen. Durch den Luftstrom wird der Penis in Vibration versetzt und erigiert. Mit zunehmender Erektion wird der Sog stärker, und schließlich wird der ganze Staubsauger an den Unterleib gepreßt und der Penis völlig in den Ansaugstutzen gezogen. In diesem Augenblick kommt er mit dem rotierenden Propeller in Berührung und wird je nach Motorleistung und Schnelligkeit des Abwehrreflexes, der Länge und dem Erektionszustand unterschiedlich traumatisiert.“

Diese Darstellung, nach Ansicht der sauberen Vorwerker ein „Ergebnis abwegiger Phantasie“, mochte die im pietistischen Wuppertal ansässige Firma nun doch nicht auf sich beruhen lassen.
Ihr Berliner Anwalt Jens-Peter Lachmann forderte Mitte Dezember das Chaos-Team ultimativ auf, binnen einer Woche „verbindlich zu erklären, daß Sie a) es sofort unterlassen, meine Auftraggeberin und/oder deren Produkte in Zusammenhang mit Onaniepraktiken mittels Staubsauger zu erwähnen, b) sich verpflichten, meiner Auftraggeberin für jeden Fall der Zuwiderhandlung einen Betrag von DM 6000,- zu zahlen“. Andernfalls würden „unverzüglich gerichtliche Schritte“ eingeleitet.

„Ein irgendwie auch nur in Ansätzen berechtigtes Interesse“ des CCC, den Onaniebeitrag zu verbreiten, „besteht nicht“, ließ der Vorwerk-Anwalt die „Datenschleuder“-Macher wissen. Dagegen werde durch den „anreißerischen“ Text sehr wohl „das Recht meiner Auftraggeberin am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb verletzt“ – ganz abgesehen davon, daß der Beitrag „auch gegen andere Vorschriften, insbesondere gegen solche zum Schutze der Jugend, verstößt“.

Als der anwaltliche Schriftsatz den Hamburger Hacker-Club erreichte, glaubten der „Datenschleuder“-Verantwortliche Wernery und sein Mitstreiter, der EDV-Experte Herwart („Wau“) Holland, zunächst, ihn nicht sonderlich ernst nehmen zu müssen. Wernerv: „lch habe erst mal eine halbe Stunde gelacht.“ Als die „gescheiten Existenzen“ (CCC-Eigenlob) jedoch von ihrem Berliner Anwalt Johann Eisenberg erfuhren, daá ein Prozeß „mit einem Streitwert von 100 000 Mark in der Hauptsache“ ihren Club finanziell ruinieren könnte, machten sie sich daran, ihre Quellen zu überprüfen.

Den inkriminierten Staubsauger-Text hatten Wernery und Holland dem Bielefelder Alternativblatt „Dreck“ entnommen, dessen Redaktion sich auf vier Druckseiten bemüht hatte, ein publizistisches Tabu zu brechen. „Dreck“-Vorspann: „Es wird gerubbelt, gerieben und gestreichelt in Deutschland, Europa und der ganzen Welt. Tagsüber, nachts, zu jeder Zeit, an jedem Ort. Nur selten spricht oder schreibt einer darüber.“

Garniert mit einem Woody-Allen-Zitat („Onanie ist Sex mit jemandem, den ich sehr liebe“) und illustriert mit vier Staubsauger-Photos, berichtet der „Dreck“-Artikel über den angeblich gar nicht so seltenen Mißbrauch des Wuppertaler Gerätes, der in der Öffentlichkeit allerdings aus einleuchtenden Gründen totgeschwiegen werde: „Unsere Gesellschaft verurteilt derartige Praktiken, und so werden sie von denen, die sie betreiben, strikt geleugnet. Treten hierbei, wie berichtet, auch noch so gravierende Verletzungen auf, so ist das für die Betroffenen doppelt peinlich und unangenehm. Das darf
nicht sein. Uneingeschränkte Aufklärung ist angesagt.“

Als Hauptquelle für ihren Enthüllungsbeitrag nennt die „Dreck“-Redaktion – ebenso wie das Chaos-Team in der Btx-Kurzfassung des Artikels – eine 1978 in München erschienene Dissertation eines „Theimuras Michael Alschibaja“. Titel: „Penisverletzungen bei Masturbation mit Staubsaugern“.

Von dem Hinweis auf die wissenschaftliche Arbeit ließen sich die Vorwerk-Juristen freilich nicht irritieren – daß Alternativ-Autoren Satire mögen und Verfassernamen wie Quellen schlicht erfinden, kommt schließlich alle Tage vor. Es sei „schwer vorstellbar“, ließ die Firma Vorwerk daher dem CCC schreiben, „daß deutsche Universitäten derartig abwegige Themen vergeben“.

Die von Vorwerk aufgeworfene Frage. ob es die Alschibaja-Dissertation „tatsächlich gibt und ob sie den behaupteten lnhalt hat“, konnte das Chaos-Team rasch klären – mit Hilfe des Münchner Telephonbuchs: Alschibaja existiert, er ist georgischer Abstammung und hat 1978 in der Tat eine penibel recherchierte Doktorarbeit über Penisverstümmelungen durch Staubsauger-Mißbrauch geschrieben.

„Die meisten Urologen, die in Kliniken arbeiten“, sagt der Mediziner heute, „haben solche Verletzungen schon mal gesehen.“ Typisch, schreibt Alschibaja, der jetzt in München als Urologe praktiziert, sei etwa die als „Fall 14″ in seiner Arbeit dokumentierte Verletzung eines 31 jährigen Schweißers:

“ Die Frau des Patienten war für 2 Wochen verreist und sollte am nächsten Tag zurückkommen. Beim Saubermachen der Wohnung habe er zwischendurch in lllustrierten geblättert und sei dadurch erregt worden. In seiner Phantasie befaßte er sich mit Fellatio und assoziierte dabei „Saugen“ und „Staubsauger“. Daraufhin führte er seinen halb erigierten Penis mit zurückgezogener Vorhaut in das laufende Ansaugrohr eines “ Kobold“-Staubsaugers ein. Im selben Augenblick habe es fürchterlich geknallt, und er habe stark am Penis geblutet. “

Ähnlich „Fall 15″, der mit diesem Unfall in engem Zusammenhang steht: “ Der Vater des in Fall 14 vorgestellten Patienten stellte seinen Sohn am Tag, an dem dieser nach der bekannten Penisverletzung aus dem Krankenhaus entlassen worden war, zur Rede. Er wollte nicht glauben, daß er sich seine Penisverletzung mit einem Staubsauger beigebracht habe. Er beschuldigte ihn, seine Ehefrau, die zu der Zeit verreist war, mit einer anderen betrogen zu haben. Die Penisverletzung führte er auf eine Bißwunde zurück. Am nächsten Tag beschloß er zu prüfen, ob eine derartige Verletzung mit einem Staubsauger möglich sei. Er steckte zu diesem Zweck seinen Penis in einen laufenden „Kobold“-Staubsauger. Im Bruchteil von Sekunden wurde der Staubsauger an den Körper herangezogen. Er spürte einen stechenden Schmerz. “

Oder „Fall 10“, der einem Mechaniker widerfuhr: „Seine Freundin habe am Unfalltag die Wohnung saubergemacht. Er sei auf dem Bett gelegen. Sie habe ihn necken wollen und sei mit dem Staubsauger über seinen Unterleib gefahren. Er hätte ein erregendes Kitzeln im Penis gespürt. Um das noch zu intensivieren, hätte sie den Bürstenaufsatz vom Staubsauger (Marke „Kobold“) genommen. Als seine Freundin dann seinen nicht erigierten Penis mit dem Staubsaugerstutzen berührt hätte, sei er in den Staubsauger gesogen worden. Er habe einen fürchterlichen Schmerz gespürt. Weil er sich genierte, habe er erst versucht, seine Peniswunden selbst zu versorgen. Als aber nach 10 Stunden die Blutungen immer noch nicht zum Stillstand gekommen waren, sei er zum Arzt gefahren.“

Durch Alschibajas Phall-Sammlung sah sich der Computer-Club ermutigt, das Vorwerk-Ultimatum einfach zu negieren und es auf einen Prozeß ankommen zu lassen. „Klein beigeben? In der Sache nicht“, hat sich Ober-Hacker Holland geschworen, den es ärgert, „daß, während Kraftfahrzeug-Hersteller Autos mit defekten Bremsen zurückrufen, hier eine Firma sogar versucht, Verbraucheraufklärung zu verhindern“.

Nachgeben will aber auch die Gegenseite nicht. Obgleich Vorwerk-Öffentlichkeitsarbeiter Piwinger den Fall für eine „ganz abstruse Geschichte“ hält, hat das Unternehmen in Berlin mittlerweile Unterlassungsklage eingereicht; Wernery soll durch Androhung eines „Ordnungsgeldes bis zu 500 000 DM“ oder von „Ordnungshaft bis zu sechs Monaten“ zum Rückzug bewegt werden.

Gerichtlich geklärt werden muß nun die presserechtlich delikate Frage, was schwerer wiegt: ein nur in seltenen Fällen von Produktmißbrauch auftretendes Risiko oder das von Vorwerk ins Feld geführte Unternehmensinteresse an seinem „guten Ruf“.

Ein „Persönlichkeitsrecht“, so die Firma, stehe durchaus „auch juristischen Personen sowie Personengesellschaften“ zu. Die Vorwerk-Vertreter betonen zudem, daß jener „Kobold“, vor dem Alschibaja 1978 gewarnt hat, „vom Modell her überholt“ sei. Eine „neue Gerätegeneration“ lasse, beteuert Piwinger, eine „Abusus-Verwendung“ an und für sich nicht mehr zu.

Chaos-Anwalt Eisenberg will im anstehenden Penis-Prozeß vortragen, daß es seinen Mandanten um Aufklärung und nicht darum gegangen sei, „das Unternehmen in seinem Unternehmensinteresse zu schädigen“. Die Ehre einer Firma sei außerdem keineswegs gesetzlich geschützt; etwas anderes lasse sich auch aus dem berühmten Herrenreiter-Urteil des Bundesgerichtshofs nicht folgern. (lm Jahre 1958 entschied der BGH, der „Okasa“ Hersteller Hormo-Pharma habe einem Unternehmer 10000 Mark Schadenersatz für einen Eingriff in dessen Persönlichkeitssphäre zu zahlen. Der Unter nehmer war ohne sein Wissen in einer Anzeige für das Stärkungsmittel „in der Pose des Herrenreiters“ (BGH) abgebildet worden. )

Im übrigen hält Eisenberg den Staubsauger-Streit womöglich für die Folge einer politischen Intrige. Die Gegenseite nämlich habe ihm verraten, Vorwerk sei durch die Deutsche Bundespost auf die umstrittenen Btx-Seiten des CCC hingewiesen und erst dadurch zu jenem Prozeß veranlaßt worden, der nun „erhebliche wirtschaftliche Folgen“ für den Hacker-Club haben könnte. Wenn die Post tatsächlich ihren Btx-Kunden CCC auf diese Weise denunziert habe, wäre das, meint Eisenberg, ein „politisch skandalöser Vorgang“.

Ein Interesse, sich am Chaos Computer Club (Eigenbezeichnung: „Bildschirmpest“) zu rächen, könnten Postler durchaus haben: Keine andere Organisation hat in den letzten Jahren so beharrlich auf die Datenschutzlücken in den neuen elektronischen Medien der Post hingewiesen wie der Hamburger Hacker-Verein, und kaum jemand sonst hat den glücklosen Bundespostminister Christian Schwarz-Schilling so mitleidlos als bösen „Gilb“ oder als umweltfeindlichen „Dr. Bleifuß“ verspottet.

Wie immer der „Kobold“-Konflikt ausgeht – die gesundheitlichen Gefahren, vor denen die „Datenschleuder“ warnt, sind vorerst keineswegs gebannt. Noch immer stünden, weiß Anwalt Eisenberg, Unmengen von alten, nicht entschärften „Kobold“-Modellen in westdeutschen Haushalten herum.

Zur Prozeßvorbereitung hat sich der Anwalt jüngst im Bekanntenkreis so ein Exemplar besorgt. Bereits ein bloßer Blick ins Ansaugrohr ließ den Juristen „Beängstigendes“ erkennen: „Das sieht nicht aus wie ein Propeller, da lauert ein richtiger Fleischwolf.“

Erstveröffentlichung in SPIEGEL 5/1986

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

* Die DSGVO-Checkbox ist ein Pflichtfeld

*

Zustimmung zur Datenspeicherung lt. DSGVO