Top Ten der vernachlässigten Themen 2004

Im Jahr 2004 gab es eine Fülle wichtiger Themen, über die in den Medien unzureichend berichtet wurde. Die Externer Link Initiative Nachrichtenaufklärung hat soeben über die Top Ten der vernachlässigten Themen des vergangenen Jahres entschieden. Auf Platz 1 der Liste setzte die Jury das Thema „Aus Deutschland abgeschoben – und dann?“. Auch die „Mängel des virtuellen Arbeitsmarktes“ wurden von den Medien vernachlässigt. Ebenfalls wenig transparent war das Thema „Ärger mit Kundendatenbanken“.

Die Top Ten im Einzelnen:

1. Aus Deutschland abgeschoben – und dann?

Viele Menschen, die aus Deutschland abgeschoben werden, sind in ihren Heimatländern existenziell gefährdet – nicht nur auf Grund staatlicher Verfolgung, sondern auch durch gesellschaftliche Ächtung und Gewalttaten. Besonders Frauen sind davon betroffen. Über solche Gefahren wird während laufender Abschiebeverfahren durchaus berichtet,was nach der Abschiebung tatsächlich geschieht, wird selten bekannt.

2. Mängel des virtuellen Arbeitsmarktes

Die Internetjobbörse der Bundesagentur für Arbeit hatte im Jahr 2004 mit schwerwiegenden technischen Mängeln zu kämpfen. So haben Programmierfehler dazu geführt, dass viele Arbeitslose nicht auf den kompletten Stellenmarkt zugreifen konnten. Zwar sind diese technischen Probleme mittlerweile teilweise behoben. Die uneinheitliche Pflege der gespeicherten Daten durch die regionalen Geschäftsstellen führt jedoch dazu, dass der virtuelle Arbeitsmarkt noch immer erhebliche Mängel aufweist.

3. Ärger mit Kundendatenbanken

Jeder Deutsche ist mehrfach in Kundendatenbanken registriert. Immer häufiger kommen dabei falsche Eintragungen nach telefonischen Vertragsabschlüssen vor. Auch weil viele Unternehmen die kostenintensive Pflege ihrer Datenbanken vernachlässigen, können Kunden ihre Daten oftmals nur mit viel Aufwand ändern oder löschen lassen. Besonders nach Umzügen, Scheidungen oder Todesfällen wird dies problematisch. Viele Kunden berichten beispielsweise über Ärger mit Unternehmen wie Premiere oder Telekom-Töchtern.

4. Gesundheitsreform bedroht Privatsphäre

Die Patientendaten von 70 Millionen gesetzlich Krankenversicherten sollen nach einem Plan des Bundesgesundheitsministeriums ab 2007 zentral gespeichert werden. Aus diesen Daten wird die Lebenserwartung jedes Versicherten individuell berechnet: der so genannte Morbiditätsfaktor. Dieser soll künftig als Grundlage für einen neuen finanziellen Risikostrukturausgleich zwischen den Krankenkassen dienen. Datenschützer warnen vor dem „gläsernen Patienten“.

5. Auf dem Weg in die Europäische Militärunion

In der neuen EU-Verfassung verpflichten sich die Mitgliedsstaaten, ihre militärischen Kapazitäten zu steigern sowie ihre militärische Präsenz zu erhöhen. Die finanziellen Folgen dieser Aufrüstungsverpflichtung können enorm sein: Für Deutschland könnte sich eine Erhöhung der bisherigen Rüstungsausgaben um rund 50 Prozent oder 14 Milliarden Euro ergeben.

6. Versteckter Hunger durch Mangelernährung

Ein Drittel der Weltbevölkerung leidet unter Vitamin- und Mineralstoffmangel, der zu schweren gesundheitlichen Schäden und vielfach zum Tod führt. Experten sprechen vom „Versteckten Hunger“, da die Mangelernährung weniger sichtbar ist als die Unterernährung an sich. Die Folgen sind fatal: Allein an den Folgen dauerhaften Vitamin-A-Mangels sterben jährlich weltweit eine Million Kinder, schätzen Experten. Viele Frauen in Entwicklungsländern sterben an Eisenmangel während der Schwangerschaft.

7. Asylbewerber wehren sich gegen eingeschränkte Freizügigkeit

Asylbewerber wehren sich gegen die so genannte „Residenzpflicht“: Ohne Genehmigung dürfen sie den Landkreis nicht verlassen, der ihnen von den deutschen Behörden zugewiesen wurde. Besuche bei Freunden und Familienangehörigen können damit zur Straftat werden. Dies verstößt nach Ansicht von Flüchtlingsorganisationen gegen das Menschenrecht auf Freizügigkeit. Manche Asylbewerber verstoßen bewusst gegen diese Pflicht, um durch Gerichtsverfahren auf das Problem aufmerksam zu machen.

8. Keine EU-Sicherheitsstandards für Atomkraftwerke

Die Europäische Kommission hat im Juni 2004 eine Nuklearrichtlinie vorgelegt, mit der die Sicherheit von Atomanlagen geregelt werden sollte. Unter den Mitgliedstaaten der EU gab es für diese Richtlinie keine Mehrheit. Insgesamt existieren in der EU mehr als 100 nukleare Anlagen, von denen zum Teil erhebliche Risiken ausgehen. Auf europäischer Ebene sind nur vage Einschätzungen über die Sicherheitsstandards einzelner AKW zu finden; die genauen Daten müssten bei den entsprechenden Behörden der EU-Mitgliedsländer abgefragt werden.

9. Zu hohe Hürden für Wiederaufnahmeverfahren

Verurteilte erreichen in Deutschland nur selten eine Wiederaufnahme ihres Strafprozesses. Sie müssen außerordentliche rechtliche Anforderungen erfüllen und mit hohen finanziellen Kosten rechnen. Da weder das Statistische Bundesamt noch die Justizministerien Anträge auf Wiederaufnahmeverfahren registrieren und auswerten, ist nicht bekannt, wie oft es dazu überhaupt kommt.

10. Abwassertechnik rettet Menschenleben

Durch Vermischung von Fäkalien und Wasser sterben jährlich fünf Millionen Menschen, zumeist Babys und Kinder unter fünf Jahren. Die Kindersterblichkeit in den Ländern der Dritten Welt könnte erheblich reduziert werden, wenn Fäkalien getrennt vom Schmutzwasser abgeleitet würden. Spezialisten der International Water Association (IWA) kämpfen weltweit für den Einsatz bereits entwickelter sanitärer Einrichtungen, mit deren Hilfe wesentlich weniger Krankheitserreger in den Wasserkreislauf gelangen würden.

Die Externer LinkInitiative Nachrichtenaufklärung wurde 1997 von Peter Ludes, heute Professor für Mass Communication an der International University Bremen, ins Leben gerufen. Sie wird zum großen Teil von Recherche-Seminaren an den Universitäten Dortmund (Journalistik) und Münster (Kommunikations-wissenschaft) getragen. Seit dem Wintersemester 2002/2003 liegt die Koordination des Projekts bei Professor Horst Pöttker am Institut für Journalistik in Dortmund. Die Initiative kooperiert mit dem Netzwerk Recherche, einem Zusammenschluss von Journalisten, die sich für investigative Recherche einsetzen.

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